Leiris und Restitution

Paris, 27.04.2025  Ein Besuch am Quai Branly lohnt sich immer, auch nur um den Garten zu besuchen, der an einem Sonntagmorgen im Frühling besonders märchenhaft ist.
Zwei der derzeitigen Ausstellungen befassen sich allerdings mit dem „schwierigen Erbe“ des Museums, dessen Fundus zu einem Großteil während der Kolonialzeit nach Paris geschafft wurde.
Die französische Ethnologie, die 1925 von Marcel Mauss als Wissenschaft gegründet wurde, bestand noch nicht lange, da schickte sie schon, im Jahr 1931, eine große Expedition nach Afrika, die als „Mission Dakar-Djibouti“ unter der Leitung von Marcel Griaule und mit Michel Leiris als ihrem Schreiber berühmt wurde. Zwei von dessen Werken, Phantom Afrika und eine Zusammenstellung all seiner Briefe und der gesamten Schriften zu Afrika in dem Band Miroir de l´Afrique, können gewissermaßen als Protokolle für das dienen, was sich bei dieser gewaltigen Unternehmung abgespielt hat (Alice Diop).
Die Reise dauerte zwei Jahre, ausgehend von Senegal und Mali, um den gesamten afrikanischen Kontinent zu durchqueren, von West nach Ost, mit Abstechern nach Benin und Kamerun, als Kolonie daals unter dem Namen „Französisch-Sudan“ bekannt, bis Äthiopien und schließlich Djibouti. Die elf Europäer brachten 1933 3000 Objekte mit, von denen eine ganze Reihe sehr ansprechend in den Vitrinen der aktuellen Ausstellung präsentiert werden. In dem kolonialen Kontext wollte man noch schnell die afrikanischen Kulturen festhalten, „da man davon ausging, dass sie unter der Einwirkung der Kolonisation bald verschwinden würden“, zugleich sollte die Sammlung des Ethnologischen Museums am Trocadéro in Paris „angereichert“ werden.
Offenbar wusste keiner, was die Forscher auf ihrer Reise finden würden. In einer der ersten Vitrinen liegt ein sehr schmales Bändchen mit dem Titel „Kurzanleitung für Sammler von ethnologischen Objekten“. „Die Mission hatte diese kurz vor der Abreise veröffentlicht und beabsichtigte, sie an die Kolonialbeamten am Wege auszugeben.“
In den Videos der Ausstellung kommen dagegen afrikanische Expterten zu Wort wie Daouda Kéita, der Direktor des Nationalmuseums von Mali, sowie sein Vorgänger, Salia Malé, die mit feiner Ironie nach der genauen Bezeichnung für das Wort „Acquisition“ suchen. Könnte man die tatsächliche Ausplünderung besser mit „erzwungene Geschenke“ ausdrücken? Neben ihnen hören wir auch Mame Magatte Sene Thiaw und einige andere, die afrikanischen Fachleute sind Kuratorinnen und Kuratoren der Expo, und beteiligt an einer  „Gegen-Recherche“ zu der Mission von 1931 – 1933 im Heute. Das Museum am Quai Branly, mit der Leiterin der Afrikasammlung Gaëlle Beaujean, hat diese Initiative ergriffen, um sich in der Frage der Restitutionen zunächst einer kollektiven Forschungsarbeit vor Ort zu widmen, also gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen aus den betreffenden afrikanischen Ländern. Der Prozess begann im Jahr 2021 und könnte überall in Europa als Modell für die Vorarbeiten zu Restitutionen dienen – auch in Deutschland ist dies ja eine heikle Frage.
Die Videos zeigen die kürzlichen Recherchen in etwa dreißig afrikanischen Dörfern, die jeweils vor 90 Jahren von Griaule und seinen Mannen besucht worden waren. In einigen der Videos sieht man die Komissare dieser Expo, wie sie den heutigen Repräsentanten afrikanischer Kulte die Fotos von den Gegenständen vorlegen.
In einem Dorf in Mali spricht man eindeutig vom Raub eines Objekts zum Schutz der Dorfgemeinschaft. Die Erinnerung war durch die Erzählungen der Zeugen von dem schockierenden Ereignis über die Generationen hinweg noch lebendig geblieben.
Ähnlich verhielt es sich offenbar in Diabougou (Mali), wo Leiris an dem Raub machtvoller Kultobjekte aus dem Heiligtum von Kono beteiligt war, von dem Heiligtum steht heute nur noch das Eingangstor einsam in der Landschaft. Der Nachkomme der Kultoberen erzählt, sie hätten wieder angefangen zu beten, als sie die Fotos der Gegenstände in der Zeitung sahen. Auf die Frage nach den Vorgängen vor 90 Jahren wägt er seine Worte ab: „Sie sind nicht reingekommen, mit der Absicht zu stehlen, aber sie haben sie unter Einsatz von Gewalt mitgenommen.“
Ähnliches sieht man bei den „Sika“ genannten Objekten zum Schutz von Zwillingen. Als dem Nachkommen eines Besitzer solcher Objekte die Fotos gezeigt werden, schweigt der sehr alte Mann zunächst und äußert dann: „Dort haben sie nicht nur die Fotos, sie haben auch die Objekte … Sie haben Gewalt ausgeübt gegen den Schwarzen Mann.“
Wer Leiris gelesen hat, erinnert sich an zahlreiche Stellen, wo der Autor sein schlechtes Gewissen ausdrückt, aber alles ging so leicht. Schließlich würden die Kolonisierten keine Revolte anfangen wegen der mitgenommenen Objekte.
Noch ein Video zeigt die französische Filmregisseurin Alice Diop (Saint Omer), deren Eltern aus Senegal stammen, im Gespräch mit der Hauptkuratorin Gaëlle Beaujean. Die Regisseurin bereitete gerade einen Spielfilm vor, eine Adaption des berühmten Buchs Phantom Afrika von Michel Leiris, als sie mit dem Projekt des Museums in Berührung kam. Sie drückt ihre Intentionen sehr deutlich aus: Sie hat vor, ein Gegen-Archiv aufstellen über das, was Leiris und seine Kollegen nicht gesehen oder in ihren Berichten weggelassen haben, sie wünscht sich Reparationen des Blicks auf das, was die Besucher antrafen, auch eine Reparation des Folkloristischen, zu dem der ethnographische Film neigt, dem Blick auf das Gesamte und von oben herab seien Aufnahmen der Beteiligten vorzuziehen, die überlebende Rituale in ihrer Alltäglichkeit filmen. Alice Diop bezeichnet die „Gegen-Recherche“ als eine „Papier-Restitution“, deren Offenheit sie allerdings sehr zu schätzen weiß.

Im Jahr 1933 wurden die von der Mission Dakar-Djibouti mitgebrachten Objekte in einer großen Schau im Ethnographischen Museum am Trocadéro in Paris gezeigt.

Beate Thill

19&Quel$aragraphe

Die Kommentare sind geschlossen.