Noch drei Tage

Paris, 04.07.2024  Gestern Abend traf ich auf der Terrasse der Eckkneipe eine Gruppe junger Leute, die gerade von einem Rock-Konzert in dem Club La Bellevilloise kamen, er ist nur ein paar Kabellängen von meiner derzeitigen Unterkunft entfernt. Sie waren fröhlich und in anrührender Weise aufgeschlossen und freundlich mir gegenüber. Noch sehr jung, um die Zwanzig, Studenten und eine Studentin in Grafik-Design, wir sprachen vor allem über ihre Berufswünsche. Im Aufschauen sah ich einen jungen Mann in einem blauen Frankreich-Trikot der Nummer 7, auf das er in Weiß dazugemalt hatte. !ch wähle (am Siebten).

 

Ich mag den Slogan: Liberté, Équité, Utopie

Ich frage mich, wie ich dieses Land unterstützen kann, das ich so liebe. Nur durch meine Anwesenheit genügt sicher nicht. Vielleicht reicht es, wenigstens in diesem Blog „meine Solidarität mit Geist und Herz zu bezeugen während es diese Zeit der Prüfung durchläuft“ – die Formulierung stammt von Saint-John Perse, dem großen Dichter, der bis zum Einmarsch der Deutschen 1940 ein hoher Beamter im Außenministerium war und dann ins Exil gehen musste.
Am Tag 3 „davor“ nehme ich mir Macron und seine „unsinnige“ Aktion zum Thema, am 7. Juni die Nationalversammlung aufzulösen. Welche waren seine Intentionen? Wenn man ihm eine gewisse Intelligenz zugesteht, kann man vermuten, er wollte den Rest seiner Amtszeit bis Mai 2027 nutzen, um mit dem Rassemblement National zusammen zu regieren und es dabei zu „entzaubern“, also um den Franzosen zu zeigen, dass sie ebenso wenig zaubern können wie er. Er rechnete vielleicht insgeheim damit, dass sie bei seinem Abgang ohnehin an die Macht kommen würden. Andere Analysen sind noch weniger schmeichelhaft, sie sehen Arroganz, gekränkten Narzissmus hinter dem „willkürlichen oder gar absurden“ Akt des Präsidenten, der sich Jupiter gleichsetzt (aus Hoffmanns Erzählungen, der Oper von Jacques Offenbach).
Falls Macron mit seinem „das Volk soll entscheiden“ eine Klarstellung der Verhältnisse gewünscht hat, so ist er damit krachend gescheitert und hat vor allem für Verwirrung gesorgt. Eigentlich war er verpflichtet, die Auflösung der Nationalversammlung zu rechtfertigen. „Eben die fehlende, explizite und verständliche politische Zielsetzung hat diese Parlamentsauflösung zu einer Verkettung von Ereignissen werden lassen, die für die Regierungsmehrheit fatal und ein Fiasko war.“ (Bruno Cautrès in einem Artikel in LM 3.7.24).
In einer Wahlumfrage einige Tage vor dem ersten Wahlgang war eine große Mehrheit (65%) der Befragten der Ansicht, „Macron habe keinen Plan.“
Die beiden anderen Parteiblöcke hingegen konnten den Moment nutzen, vor allem die „Neue Volksfront“ auf der Linken wurde sich schnell einig und hatte viele Kandidaten für den zweiten Wahlgang schon bei dem Zusammenschluss zur Wahl 2022 aufgestellt. Bei der äußersten Rechten ging das nicht so glatt, schnell kam die Kritik an rassistischen Äußerungen einer ganzen Reihe von ihnen auf. Der Spitzenkandidat erzürnte sich im Fernsehen, was schon „vier oder fünf räudige Lämmer“ seien bei der großen Zahl, die sich zur Wahl stellten. Er wurde im Handumdrehen wiederlegt, es seien mindestens 60 von ihnen als Rassisten bekannt,  die Zeitung Libération nennt die Webseite La carte de la honte (Die Karte der Schande), die mindestens 125 einschlägig bekannte Kandidaten aufführt.

Beate Thill

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