Paris, 25.09.2019 … auf der Theaterbühne. Es ist das große Thema von Valère Novarina, Schriftsteller, Philosoph, Dramatiker, der im Moment am Theater de La Colline sein Stück L´animal imaginaire inszeniert (zu sehen bis zum 13. Oktober).
Am 23.September besuchte ich im Kino MK2 am Quai de Loire eine Veranstaltung mit einem Dokumentarfilm und einem Gespräch zwischen Novarina und dem Direktor dieses Theaters, Wajdi Mouawad. Als Übersetzerin bewege ich mich immer in diesem Universum, man könnte sagen Untergrund, der Sprache und des Sprechens, zwischen, unter und jenseits der Sprache, denn ja, es gibt einen Raum des Schweigens, des Unaussprechlichen, zwischen ihnen. Um mit Novarina zu sprechen (oder mit Glissant, Chamoiseau, die ich übersetze), fallen wir zwischen den Worten, die wir sprechen oder schreiben, immer wieder in diesen Raum zurück.
Für Novarina „ist die Sprache eine Skulptur zwischen uns (Menschen), ein Drittes, ein eigenes Wesen aus Klang, Luft und Atem.“ Worte sind für ihn Materie, wie ein Stein (im Stück kehrt dieses Bild immer wieder).
Geboren 1942 „am Ufer des Genfer Sees“, wie er sagt, als Savoyarde erfüllt von den vielen verschiedenen Sprachen des Alpenraums, sieht er alle menschlichen Ausdrucksweisen als gleichwertig an, macht keine Hierarchie zwischen Dialekt und Hochsprache, eine Haltung, die auch den Reichtum der Schweiz bildet, wie ich meine. Seine in den Bergen und Wäldern erlebte Kindheit bringt ihn beim Schreiben in Verbindung mit dem Körper, dem eigenen und mit dem menschlichen Körper allgemein. Seine Mutter, die Schauspielerin war, bringt die Verbindung zum Theater, wo er sich für den Körper des Schauspielers und sein Dasein auf der Bühne interessiert.
„Alles ist für mich Schrift“ – „der Körper des Schauspielers schreibt auf der Bühne, sein Spiel de- und re-konstruiert immer wieder die menschliche Figur.“ „Der Schauspieler trägt seine Sprache und seinen körperlichen Ausdruck vor sich her.“ Das wesentliche liegt in der Geste, „im Muskel“.
Und die Zuschauer? Sie schauen sich schweigend das „parallele Leben“ auf der Bühne an – als wären sie Tiere. Novarina rät, auszuprobieren wie es ist, zu Tieren zu sprechen, auch zu den kleinen, wie Spinnen. Mouawad berichtet von einer komischen Erfahrung, als er einmal vor einem Saal voll Tieren spielen musste (vor Kühen und Ziegen), während die Zuschauer draußen blieben und alles durch Löcher in der Wand beobachteten.
Leben, Tod. „Die Atmung ist eine ständige Wiederauferstehung“, meint Novarina. Der Moment, bevor sie wieder einsetzt, „ein kleiner Tod“. Zeigt das Theater ein „Parallelleben“, so bringt das Ende jeder Vorstellung „das Ausagieren einer Trauer.“ (Mouawad)
In dem bei dieser Gelegenheit gezeigten Dokumentarfilm von Raphael O´Byrne (arte 2002) konnte der Autor, der auch Maler ist, die französische Philosophin Marie-José Mondzain einladen, um die russischen Ikonen zu betrachten, und den Physiker Etienne Klein, um mit ihm ein Gespräch über die Materie eines Steins zu führen – „er scheint sehr dicht, aber er besteht aus viel Leere, denn es ist Raum zwischen und im Inneren der Atome.“ Novarina besucht im Film auch das Atelier des österreichischen Künstlers Arnulf Reiner, der ihn besonders interessiert, denn er hat ähnliche Intentionen wie er selbst. Die gleiche Suche der Zeitlichkeit, wenn er seine vielen Leinwände, die entlang der Wände aufgereiht sind, in einer sich wiederholenden, ritualisierten Abfolge mit Farbe bespritzt, in einem Stil, der an Jackson Pollock erinnert. Oder wenn er sein eigenes Gesicht in grotesken Grimassen fotografiert, die er anschließend noch mit dem Pinsel bearbeitet, in der gleichen Suche, die menschliche Figur zu de- und zu re-konstruieren.
Einer der Schauspieler, der Haitianer Edouard Baptiste aka Yoyo, trägt im Théâtre de La Colline eine der exaltierten Frisuren von Reiner.
Drei Stunden eines Stücks ohne zusammenhängende Erzählung und Handlung, und doch saß ich da mit dem einzigen Wunsch, dass es nicht enden möge.
Es ist eine Reihe philosophischer Possen, Episoden und kleiner Szenen, in denen Helden mit ulkigen Namen hinreißend abstruse Texte sagen und damit die menschliche Figur in allen Lebens- und Ablebenslagen, auch den aktuellen, darstellen, auf dieser „hölzernen Insel“ der Theaterbühne.
Das gelingt mit dem Zwiespältigen, Zweischneidigen und burlesken in der Sprache und der Darstellung. Etwa wenn die Schauspieler von den Körperöffnungen sprechen – da sind die Münder, aus denen die „Flüssigkeit“ der Sprache fließt, Münder, die „euer Schweigen“ essen müssen, aber da sind auch die Löcher, der Mutter, die das Kind zur Welt bringt, und das letzte, der Anus.
Der Humor trägt das Stück, im Spiel mit der Sprache, im Spiel der wundervollen Schauspieler und in den Chansons, die von Christian Paccoud komponiert und mit dem Akkordeon begleitet werden.
Mit einer trickreichen Behandlung der Dimensionen des Raums und der Zeit, von der gefühlte 99 verschiedene Aspekte angeführt werden, erhält dieses lebendige, hochanregende und anspruchsvolle Stück seine Tiefe.
Als Bühnen-Bilder dienen Gemälde von Novarina von organischer Abstraktion, das ist genial und wunderschön, auf und über dem weiß gestrichenen Quadrat der Bühne, auf dem die Schauspieler mit ihren Gesten und ihren Körpern „schreiben.“
Nur eine Episode will ich schildern: Das Ensemble singt das Lied „Der Mensch ist nicht gut“, Doppelsinn: „er schmeckt nicht gut“, ein großes Messer wird gezückt. Plötzlich taucht links aus dem Untergrund ein Brunnen mit rotem Wasser auf und bespritzt die weiße Bühne an seinem Rand, man denkt sofort an den Blutbrunnen im Iran während des Krieges mit dem Irak. Gegen Ende des Lieds, die Zuschauer lachen sich noch schief über dessen witzigen Text, sinkt der Brunnen wieder hinab, es kommen drei „Dramenarbeiter“ mit Mopps und Wischern, um gewissenhaft, sorgfältig, schweigend und ernst die Spritzer wegzuputzen, das dauert zwei oder drei Minuten, bis alles wirklich weg ist – die Zuschauer halten den Atem an, wegen der Aktualität dieses Bilds.
In dem Gespräch hatte Novarina angemerkt, unsere Zeit „werde immer körperloser“, dabei „verarmt die Sprache … die Sprache verliert an Raum. Dabei ist sie eine Waffe!“ Seine Intention sei zu zeigen, wie die Sprache uns in einem Raum (des Theaters) verbinde und wieder trenne …
Mir gehen die Worte aus, das Stück ist heiß zu empfehlen, noch bis zum 13. Oktober im Théâtre de La Colline in Paris.
Paris, 25.09.2019 … sur scène – c´est le grand thème de Valère Novarina, écrivain, philosophe, dramaturge, qui réalise sa pièce L´animal imaginaire au Théâtre de La Colline en ce moment (jusqu´au 13 octobre).
J´ai assisté à la projection d´un documentaire et à l´entretien entre Novarina et le directeur de ce théâtre, Wajdi Mouawad, au MK2 Quai de Loire, le 23 septembre. Etant traductrice, je suis toujours dans cet univers, on pourrait même dire dans les tréfonds, des langues et langages, entre, en-dessous et en-deça de la langue – oui, il y a un espace de silence, d´indicible, entre elles. Pour parler avec Novarina (et Glissant, et Chamoiseau que je traduis), nous y retombons entre chaque mot proféré ou écrit.
Pour Novarina, „la langue est une sculpture entre nous, un troisième, un être de son, d´air et de souffle.“ Les mots sont de la matière, comme un caillou (image récurrente dans la pièce).
Né en 1942 „aux bords du Lac Léman“, comme il dit, savoyard, nourri par les langages multiples et variés de la région alpine, il voit toutes les expressions verbales de l´humain sur une même échelle, ne fait pas d´hiérarchie entre patois et langue officielle, ce qui (à mon avis) est aussi la richesse de la Suisse. Son enfance dans la montagne et les forêts lie son existence au corps, à son corps et au corps humain dans l´écriture. Sa mère actrice le lie au théâtre et son théâtre s´intéresse au corps de l´acteur et à son existence sur scène.
„Tout pour moi est écriture“ – „le corps de l´acteur écrit sur la scène, son jeu est une déconstruction et reconstruction de la figure humaine.“ „L´acteur porte sa langue et son expression corporelle devant lui.“ L´essentiel est dans le geste, dans „le muscle“. (Novarina)
Et les spectateurs? Ils restent muets à regarder cette „vie parallèle“ sur scène – comme des animaux. Novarina nous conseille à faire l´expérience de parler aux bêtes, même aux bestioles, et Mouawad raconte une expérience hilare où il devait jouer devant une salle d´animaux (vaches, chèvres et autres), tandisque le public restait à l´extérieur et pouvait observer par des trous dans les murs.
La vie, la mort. Selon Novarina: „La respiration est une résurrection permanente“, l´instant avant la reprise du souffle „une petite mort“. Si le théâtre montre une vie parallèle, toute fin de spectacle „est un acte vivant de deuil“ (Mouawad).
Pour le documentaire de Raphaël O´Byrne (arte 2002), montré à l´occasion, l´auteur, qui est aussi peintre, avait invité la philosophe Marie-José Mondzain pour contempler les icônes russes, et le physicien Etienne Klein pour parler de la matière d´une pierre – „elle semble très dense, mais une grande partie est vide, puisqu´il y a beaucoup d´espace entre les atômes et à leur intérieur“. On visite l´atelier de l´artiste-peintre autrichien Arnulf Reiner qui intrigue Novarina avec sa recherche de la temporalité, en faisant ses peintures dans la récurrence de parcours ritualisés, où il éclabousse des toiles juxtaposées en série au murs, un peu dans le style de Jackson Pollock. La même recherche aussi de la figure et la défiguration humaine, quand Reiner se photographie en grimaces grotesques qu´il déforme encore au pinceau.
Un des acteurs de la pièce jouée à la Colline, l´Haïtien Edouard Baptiste aka Yoyo, arbore une des coiffures exaltés de Reiner.
Trois heures d´une pièce sans récit, sans action continus, on reste là avec le seul désir que cela ne finisse pas.
C´est un vaudeville philosophique composé d´épisodes, de petites scènes aux héros rocambolesques jusque dans leurs noms, qui présentent la figure humaine dans tous ses états, d´actualité aussi, sur cette „île en bois“ qui est la scène du théâtre.
Les moyens stylistiques sont l´ambigu, le double tranchant, le burlesque. Par exemple quand les comédiens parlent des orifices de la figure humaine, il y a les bouches, naturellement, d´où provient le fluide de la langue, qui mangent „votre silence“, mais il y a aussi „les trous“, de la mère qui met sur terre, et l´anus.
C´est l´humour qui porte la pièce, dans les jeux de la langue, dans le jeu des merveilleux acteurs, et dans les chansons, composées et accompagnées à l´accordéon par Christian Paccoud.
Astucieusement, les dimensions théâtrales de l ´espace et du temps, dont environs 99 différents aspects sont nommés, donnent la profondeur philosophique à cette pièce vivace, intriguante et sophistiquée.
En guise de décors il y a les peintures de Novarina, d´une abstraction organique, géniales, magnifiques, au-dessus du carré peint en blanc du plateau, sur lequel les acteurs „écrivent“ avec leurs gestes et leurs corps.
Je décris juste un „épisode“: L´ensemble chante la chanson„L´homme n´est pas bon“ qui est „à double tranchant“ … sous-texte „à manger“, un grand couteau est arboré. Tout d´un coup une source d´eau rouge surgit sur la gauche de la scène blanche, qu´elle éclabousse au bord, on pense tout-de-suite à la source de sang en Iran pendant la guerre avec l´Iraq. Vers la fin de la chanson, les spectateurs s´esclaffent encore des drôleries dans le texte, la source tarit, et trois „ouvriers du drame“ apparaissent avec balais et serpillières pour nettoyer, consciencieusement, soigneusement, dans le silence et le sérieux, pendant deux, trois minutes, et les spectateurs retiennent leur souffle devant cette symbolique si actuelle.
Novarina avait dit dans l´entretien que notre temps „est de plus en plus désincarné“ avec un „appauvrissement aussi du langage … la langue recule. Bienqu´elle est une arme!“ Son intention serait de montrer, comment la langue nous noue et nous dénoue dans un espace …
Mes mots défaillent, allez-voir la pièce, encore jusqu´au 13 octobre.