Tag eins

Paris, 06.06.2024  Frankreich hat gestern Abend gewonnen, im Fußball, es war das Viertelfinale der EM, aber hier in der Eckkneipe und im ganzen Quartier haben die jungen Leute gefeiert, als hätten sie den Pokal. Sie haben offenbar etwas Dampf abgelassen in dieser angespannten Zeit vor den drohenden Wahlen, und dieser Ausdruck ist nicht übertrieben.

In den letzten Tagen fangen die Medien endlich an, ihrer Aufgabe nachzukommen, nämlich fundierte Artikel und Beiträge im Fernsehen zu bringen, die den Narrativen von Bardella, Le Pen und anderen Köpfen der Rechtsaußen-Parteien in Europa Kontra geben, Punkt für Punkt und mit Belegen. In Le Monde vom 4. Juli waren einige Analysen versammelt, um diese Unwahrheiten und falschen Behauptungen aufzudecken. Eine davon sind die angeblichen Kosten der Immigration, nach einer Berechnung der OECD belaufen sie sich in allen in ihr zusammengefassten Ländern auf etwa 1% des BIP, „die Wirkung ist also neutral.“ Auch in Deutschland sind die Zahlen ganz ähnlich. „Die Ausgaben für Einwohner, die im Ausland geboren sind, sind in den Bereichen der Altersrente, bei Krankheit und Invalidität, in der Bildung und Gesundheitsvorsorge niedriger als für im Inland Geborene.“
Es wäre eine gute Idee, wenn die deutschen Medien sich bald um fundierte Argumente gegen die äußerste Rechte kümmern würden, jedenfalls rechtzeitig und nicht erst ein paar Tage vor einer möglicherweise alles umstürzenden Wahl.
In der gleichen Ausgabe von Le Monde steht auch eine Analyse zu dem Vorwurf von Bardella zur „Einwanderung in die Sozialsysteme“, wie wir sie gleich lautend auch von der AFD kennen und wie sie von CDU und CSU übernommen wird. Bardella sieht bei den Sozialwohnungen eine Bevorzugung der Einwanderer, da sie etwa ein Drittel der Sozialwohnungen in Frankreich belegen. „Eine vollkommene Verkehrung der Realität“, ist die Bewertung einer Expertin auf dem Gebiet. Wenn im Ausland Geborene eher nach Sozialwohnungen streben, dann weil ihnen die anderen, besseren Wohnungen in günstigerer Lage aufgrund von Diskriminierung nicht zugänglich sind.
Ich möchte meinen heutigen Beitrag nicht mit noch mehr Zahlen beladen. Eigentlich weiß man, dass die Diskurse von Bardella schädlich und verlogen sind, genauso wie die der AFD in Deutschland, und wer ist schon überrascht, dass manche seiner Vorschläge „an Vichy erinnern.“

An diesem Samstag erscheint mir Paris unter einer bleiernen Glocke zu liegen, dabei ist der Himmel wolkig und lebhaft, mit einem kleinen, manchmal in Böen auffrischenden Wind. Wissen die Passantinnen schon, was sie morgen wählen werden?
Bei meinem Spaziergang um die Mittagszeit kam ich in einer Seitenstraße unter den offenen Fenstern einer größeren Wohnung vorbei, ich hörte die Stimmen eines Paars, das ich nicht sehen konnte, sie lachten, es war nicht die Stimmung des Schlafzimmers, eher die des Mittagessens in der Küche, ich meinte, diese leicht heiseren Stimmen und ihr Lachen zu kennen, sehr entspannt, afrikanisch.

Beate Thill

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