Yvonne, von Gombrowicz

Paris, 16.01.2023  Am Samstagabend hörte ich die erste Lesung dieses Theaterstücks des polnischen Schriftstellers von einer jungen Kompanie, die sich Brûler Détruire nennt. Der Ausruf:„Brennen, Zerstören“ stammt übrigens ebenfalls aus dem Text. Die Truppe wird das Stück ab dem 31.Januar in Paris aufführen, und zwar im 19. Arrondissement.
Ätzend, witzig, schonungslos drücken sich in dem Stück Frauenfeindlichkeit, elitärer Menschenhass einer Königsfamilie aus, jede erdenkliche Bosheit gegen eine Person, die als minderwertig oder schwach wahrgenommen wird, eine Frau, in diesem Fall eine junge Prinzessin, die so bis zum allerletzten Verstummen getrieben wird. Grotesk und ganz im Stil von Gombrowicz, der den Menschen und seine „Fresse“ an den Rand des Menschlichen, bis zum Unaussprechlichen treibt.

Witold Gombrowicz (1904-1969), der große polnische Schriftsteller des 20.Jahrhunderts, war zunächst der Autor eines Avantgarde-Romans, einer Satire auf die nationalistische Jugend im Polen jener Zeit, nämlich mit Ferdydurke von 1938. Die Satire hat nichts von ihrer Aktualität verloren, weder von der literarischen, und wenn man an das heutige Polen denkt, auch nicht von der politischen Aktualität. Nur dass das Literarische tiefer einschneidet und die Mentalität bis in die einzelnen Nerven seziert. Gombrowicz ist wohl vor allem für sein überragendes Tagebuch 1953-1969 bekannt, in dem er die Nachkriegszeit betrachtet und kommentiert, aber auch in die Vorkriegszeit hineinleuchtet, wieder mit seiner Schreibweise, die provoziert und die Dinge, die sie erfasst, einer radikalen Infragestellung unterzieht.
Gombrowicz als Theaterautor gehört im Grunde zur Ära Ionescos und der anderen Absurden, die eine neue Bühnensprache fanden, die gerade heute so aufrüttelnd wirkt.
In Deutschland wurde sein Theater erst ab den 1980er Jahren auf die Bühne gebracht, besonders häufig auch dieses Stück, dessen Titel auf Deutsch Yvonne, die Burgunderprinzessin lautet.

In meinem Blog habe ich schon einmal etwas zur poetischen Intention von Witold Gombrowicz angemerkt, bei der ich einige Ähnlichkeiten mit Edouard Glissant entdecke, insbesondere wenn es um die Kritik am Eurozentrismus und am westlichen Denken geht.
Schon der junge Gombrowicz schaute dieses Europa „schief und von der Seite“ an, wie es vor dem 2. Weltkrieg mit seinen Kolonien so selbstgewiss dastand. Er warf seinen Blick von Polen aus, das am Rande lag, und „dazugehören“ wollte, nach seiner Auffassung aber nicht dazugehörte. Der junge Autor sah sein Land als eine gemischte Nation von Polen und Juden und eher am Rande Zentraleuropas. Alldas wird in dem Roman Ferdydurke ausgehandelt, der ihm einen sofortigen Erfolg und eine Einladung nach Argentinien einbrachte, dort befand er sich noch, als der Krieg in seinem Land ausbrach. Er blieb in Lateinamerika gewissermaßen hängen und behielt seinen Blick „schräg von der Seite“ bei, seine kritische, satirische, von der Peripherie ausgehende Perspektive auf das Drama der Welt.

Beate Thill

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