Notre Dame und die Kirche von Frankreich

Paris, 29.11.2021  Am 25. dieses Monats wurde das Baugerüst von Notre Dame heruntergenommen. Nach dem schweren Brand vor zwei Jahren war vor allem das Dach der Kathedrale stark beschädigt worden – auf den heute aufgenommenen Fotos ist zu sehen, dass in Wirklichkeit nur die Fassade mit den Türmen wieder frei dasteht. Der französische Staat zusammen mit seinem Präsidenten ganz persönlich haben sich für den Wiederaufbau der Kathedrale stark ins Zeug gelegt, ist sie doch ein Symbol der Christenheit, aber auch der französischen Nation. Der Abbau des Gerüsts und der Abschluss der Sicherungsarbeiten ist ein großer Schritt in Richtung der Neueröffnung, die für 2024 geplant ist.

Andere Ereignisse in diesem Monat, in der katholischen Kirche selbst, waren weniger erfreulich und müssen auf die Gläubigen schockierend gewirkt haben. Die Bischofskonferenz war gezwungen, sich mit dem Skandal des weitreichenden sexuellen Missbrauchs von Priestern und Ordensleuten an Gemeindemitgliedern zu befassen. Am Ende haben die Bischöfe die Verbrechen anerkannt und beschlossen, die Opfer finanziell zu entschädigen, was Le Monde am 10. November berichtete und als „einen großen Schritt der Kirche von Frankreich“ bezeichnete.

Am 27. November wurde vom öffentlich-rechtlichen Radiosender France Inter eine Reportage von Laetitia Cherel zu dem Thema gesendet. Sie beginnt damit, dass die unabhängige Kommission zur Untersuchung der Missbrauchsfälle zu ihrer Vollversammlung Anfang November in Lourdes die Opferverbände nicht eingeladen hatte. Nach dem Beschluss der Bischofskonferenz über die Zahlungen an die Opfer, hat ihr Vorsitzender Eric de Moulins-Beaufort „Solidarität“ mit den „ärmeren Diozesen“ versprochen, das heißt, dass die „reicheren“ ihnen beim Aufbringen des Geldes helfen würden, das an die Opfer gezahlt werden muss. Aber es werde auf jeden Fall schwer werden und Kollekten bei den Gläubigen seien nicht auszuschließen.
Die Reportage fährt fort mit der Aufzählung, was die Kirchenverantwortlichen als möglichen Besitz zur Veräußerung angaben, etwa ein paar Gemeindsäle, Kapellen und Pfarrhäuser, die nicht mehr benutzt wurden. Seit dem Konkordat von 1905, das die Trennung von Kirche und Staat ausgesprochen hatte, waren alle Liegenschaften an Frankreich gegangen und seither sei die Kirche „arm.“

Die investigative Journalisten hat aber Besitztümer gefunden, die die Kirche dennoch innehat und die in ihrem Namen von privaten Gesellschaften verwaltet werden, um das Gesetz von 1905 zu umgehen. Darunter sind mehrere große Anwesen mit Grundbesitz in Paris, aber auch im übrigen Frankreich. Allein jene in Paris werden auf über 700 Millionen geschätzt, „dieses Vermögen wird in den Abrechnungen der Diozese von Paris nirgends aufgeführt“. Die Summe übersteigt im übrigen die Forderungen für die Opfer. Laetitia Cherel hat auch bei Immobilienmaklern angefragt, ob solche Liegenschaften auf dem Markt verkäuflich wären. Man kann sich vorstellen, was ihr geantwortet wurde.

Aus meiner Perspektive von jenseits des Rheins, wo die Kirchen immer noch durch Steuergelder alimentiert werden, ist eine „arme Kirche“ nur schwer vorstellbar. Als Katholikin war ich entsetzt von der Idee, dass die französischen Bischöfe in Erwägung gezogen hatten, wieder bei den Gläubigen zu sammeln zum Ausgleich für Verbrechen, die über Jahrzehnte aus ihren Reihen geleugnet, verdrängt und unter den Teppich gekehrt wurden. Die Reportage hat mir daher sehr gut gefallen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der Vatikan der armen französischen Kirche nicht zu Hilfe kommen kann bei ihrer Audienz beim Papst, die für den 9. Dezember vorgesehen ist.

Beate Thill

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