Rede von Alain Finkielkraut /Un discours

Paris, 17.12.2019 Nachtrag  Finkielkraut ist ein „enfant terrible“ unter den französischen Schriftstellern, in unseren Zeiten ist das eine Marke, die sich gut verkauft. Zugleich ist er Mitglied der Académie Française, was man nur auf eigenen Antrag wird … Er hat bei der Öffentlichen Sitzung der Akademie im Dezember die „Rede über die Tugend“ gehalten, welche zu den Ritualen dieser festlichen und zugleich gastlichen Veranstaltung gehört, bei der auch alljährlich die zahlreichen Preise der Akademie verliehen werden (der Wortlaut ist auf der Website nachzulesen academie-francaise.fr/discours-sur-la-vertu-2019)   Finkielkraut beginnt mit einer rhetorischen Figur, die gerade kein Wohlwollen erheischt, er bezeichnet seine Aufgabe als „ein Stück künstlicher Eloquenz“ und den Begriff der Tugend als veraltet und sogar „spießig“. Er wehrt sich gegen jeden…

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Zu Fuß|/ Paris à pied

Paris, 14.12.2019  Der Streik und der Verkehr steht. Zufällig bin ich ein paar Tage im 9. Bezirk, statt dem 19., das ist zentraler – die Zentralität rechnet sich jetzt nach den Schritten zu Fuß bis zu den wichtigsten Zielen in der Stadt. Auch die Taxis haben sicher großen „Andrang“, wie das Verkehrsunternehmen RATP auf ihrer Webseite warnt, anders ausgedrückt: „Bleibt zu Hause!“ Im deutschen Radio hörte ich, die Pariser hätten die Fahrradläden gestürmt für ein Bike zur Arbeit statt der Metro. Doch ich sehe, die Pariser gehen hauptsächlich zur Fuß. Glücklich, wer einen der raren Busse erwischt, auch wenn sie oft nur einen Teil ihrer gewohnten Strecke bedienen. So ging es mir an der Avenue Jaurès mit dem Bus Nr…

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Sprache und Sprechen/ Langue et langage

Paris, 25.09.2019  … auf der Theaterbühne. Es ist das große Thema von Valère Novarina, Schriftsteller, Philosoph, Dramatiker, der im Moment am Theater de La Colline sein Stück L´animal imaginaire inszeniert (zu sehen bis zum 13. Oktober). Am 23.September besuchte ich im Kino MK2 am Quai de Loire eine Veranstaltung mit einem Dokumentarfilm und einem Gespräch zwischen Novarina und dem Direktor dieses Theaters, Wajdi Mouawad. Als Übersetzerin bewege ich mich immer in diesem Universum, man könnte sagen Untergrund, der Sprache und des Sprechens, zwischen, unter und jenseits der Sprache, denn ja, es gibt einen Raum des Schweigens, des Unaussprechlichen, zwischen ihnen. Um mit Novarina zu sprechen (oder mit Glissant, Chamoiseau, die ich übersetze), fallen wir zwischen den Worten, die wir sprechen…

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Nach den Ferien in Macronien/La rentrée en Macronie

Paris, 22.09.2019  Seit den aufsehenerregenden Demonstrationen der Gelbwesten im letzten Winter ist es augenfällig, das Fußvolk der französischen Republik ist unzufrieden mit den Leistungen der Regierung unter dem Präsidenten Macron, der wegen des Versprechens von mehr Bürgerbeteiligung die Wahl 2017 mit einem Erdrutschsieg gewann. Denn „die Auswirkungen der Reformen kommen nicht bei den Leuten an, sie bleiben hinter ihren Erwartungen zurück, es geht zu langsam …“, fasste der engste Berater von Macron damals die Lage zusammen. Schon zu Anfang des Jahres hat Premierminister Philippe sein Kabinett hart an die Kandare genommen (Le Monde, 20.9.19.), sie müssten besser dafür sorgen, dass ihre Maßnahmen auch wirklich in den Köpfen der Bürger ankommen. Wie alarmiert die Stimmung ist, kann man daran ablesen, dass…

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Im Zug / Dans le train

 Paris, 19.09.2019  Draußen die blonden Streifen der gemähten Felder wie im Herbst, aber das Licht ist noch sommerlich Drinnen drei junge Frauen stricken mit den Schnüren ihrer Handys. Paris, 19.09.2019 Dehors les bandes blondes des champs fauchés, signes d´automne, mais la lumière est toujours d´été Dedans trois jeunes filles tricotent les fils de leur mobile.

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Le café de Dora Maar

Paris, 27.06.2019  In den Pariser Cafés sind Missverständnisse in der englischen Sprache recht häufig. Gestern war ich in der Cafeteria des Centre Pompidou, ich gehe dort gerne hin, auch wenn es ein bisschen teuer ist, es lohnt sich wegen der Leute. Ein Trio Amerikaner, Sechzig – oder vielleicht eher Achtzig-jährige waren vor mir an der Theke, sympathisch und gebildet. Der Herr vor mir hatte einen „Grapefruit-Juice“ bestellt. Die junge Bedienung hält ihm ganz selbstverständlich eine kleine Flasche Traubensaft hin. Auch als er protestiert, ist sie sich ihrer Sache sehr sicher und zeigt die hübschen „grapes“ auf dem Etikett – weder dem Trio noch mir war je diese sprachliche Falle aufgefallen. Ich gehe gerne hin wegen des Milieus, das dort verkehrt,…

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Euro-Elsassien/Euro-Alsacie

Paris, 26.06.2019  Sie heißt „Collecitivité européenne d´Alsace“, schon als Wortungetüm ein Fremdkörper, in etwa „Europäisches Kollektiv Elsass“, eine administrative Sondervereinbarung für die bisherigen Departements des Ober- und Unter-Elsass, die bereits mit Lothringen in der Region „Grand-Est“ zusammengeschlossen sind. (Le Monde vom 26.6.19) In einer Karikatur werden als Alternativ-Vorschläge „Über-Vogesen 2000“, „Transrhine-Valley“ oder „Euro-Elsassien“ genannt. Aus dem Artikel in Le Monde wird deutlich, dass manche regionalen Kräfte und Parteien sich mehr Eigenständigkeit gegenüber der Zentralregierung in Paris gewünscht hätten. Bei dem Gesetzesvorschlag, der seit Montag im Parlament beraten wird, handelt es sich also um einen Kompromiss. Immerhin wird den Elsässern darin zugestanden, „grenzüberschreitend mit Deutschland und der Schweiz zu kooperieren“, und dies unabhängig auszuhandeln. Offenbar wird der Wunsch Emmanuel Macrons nach…

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Wie steht es mit Notre Dame? / Et Notre Dame?

Paris, 14.05.2019  Tief getroffen von dem Unglück, hatte ich die Umgebung von Notre Dame bisher gemieden. Ich machte mir nur ein Bild, wenn ich die Rue Beaubourg entlangkam, wo man einen guten Blick auf das gesamte Dach der Kathedrale hat. Gestern war ich überrascht, dass die große weiße Plane über dem Loch in der Mitte fehlte und wieder ein Gerüst aufragte, fast wie vor dem Brand – nur ohne den spitzen Turm. Im Internet fand ich dann die Nachricht, dass die Arbeiten zum Schutz des Dachs bereits seit dem 26. April abgeschlossen sind, „dank der perfekten Koordination zwischen den verschiedenen Dienstleistern und Partnern, die zu den Arbeiten mobilisiert worden waren.“(Sputnik) Dies hat mich in meiner Hoffnung bestärkt, nun doch in…

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Le modèle noir

Paris, 12.05.2019  Das schwarze Modell, die aktuelle Ausstellung im Musée d´Orsay (bis 21.Juli), lässt sich anhand der verschiedenen Bedeutungen des Wortes Modell verstehen. Zunächst ist es die reale Figur, die Modell steht, das „Sujet“ oder „Subjekt“, das man auf dem Bild dargestellt sieht. Ist es eine Person „schwarzer Hautfarbe“, wird das Subjekt ambivalent. Das Modell steht auch für ein Vorbild, hier repräsentiert die Figur mit der schwarzen Haut den Anderen, mehr ein Zeichen, ein Symbol, als ein menschliches Wesen. Mit der französischen Kolonisierung Afrikas fand dieser Andere häufiger Eingang in die Malerei der Künstler, die alljährlich in Paris im Herbstsalon ausstellten. Auch umgab ihn zunächst die Aura des Exotismus und Orientalismus mit ihren klischierten Details, dazu angetan, die rassistische und…

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Ein Maler unserer Zeit /Peintre de notre temps

  Paris, 20.03.2019  Brian Maguire, Maler, geboren 1951 in Irland, „ist auf dieser Insel weit vor der Küste Europas aufgewachsen“, wie er es ausdrückt. Ich traf ihn am 17. März für ein (längeres) Interview anlässlich seiner Londoner Ausstellung, von dem ich hier einige Passagen zitieren will. Nachdem er anfangs das Ziel einer „sozialistischen Kunst“ verfolgte, meint er heute „nicht viel mehr zu verstehen außer seiner eigenen Existenz.“ Dabei kritisiert er die Konsumgesellschaft und „eine Kultur unter der Hegemonie ihrer Werte. Der Konsumismus braucht die Demokratie nicht.“ BT: Sie versuchen sich also als Künstler gegen alldies zu positionieren, ausgehend von Ihrer eigenen Existenz? BM: Wissen Sie, wie findet man heraus, was man tun kann? … Im Moment fokussiere ich mich auf…

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