Rothko in der Fondation Louis Vuitton

Paris, 24.1.2024  „Rothko malt die Wahrheit“, dieser Satz klingt wie ein Paradox, wenn man an die ikonischen Bilder von radikaler Abstraktion denkt, für die dieser Maler der Moderne steht. Den Satz schreibt Abdelwahab Meddeb in einem Buch mit seinen Wanderungen durch die „rote, gesegnete Stadt“. das ich im Moment übersetze. Die Reflektionen und Tagebucheinträge des tunesisch-französichen Intellektuellen wird in diesem Jahr posthum in Frankreich und Deutschland erscheinen.

Mit dem Besuch der großen Ausstellung von Mark Rothko in der Fondation Louis Vuitton wollte ich dieses Paradox womöglich auflösen. Vielleicht hatte ich die „Klassiker“ des Malers nicht verstanden, „die in zwei oder drei Registern Rechtecke übereinander anordnen, die undeutlich konturiert und von leuchtender Farbe sind.“(Text der Schau) Tatsächlich hatte ich noch nie Bilder von Rothko in Präsenz gesehen, hatte noch nie eine Ausstellung besucht.
Wegen der Scheu des Künstlers, Gesichter zu malen, gibt es nur ein Selbstporträt von ihm: eine Pop-Figur, sardonischer Gesichtsausdruck, die Augen nur sichtbar wegen der stechend schwarzen Pupillen, hinter einer blau leuchtenden Sonnenbrille, der Fokus liegt auf den Händen, ein Siegelring am Zeigefinger, Künstlerhände und doch schmerzvoll gewrungen. Im Text wird auf den monochromen Hintergrund verwiesen, der auf Rembrandt zurückgehen soll, eines der großen Vorbilder von Rothko.

Galerie 1: In diesem Saal werden die ersten, eher figurativen Bilder des Künstlers gezeigt, entstanden in den 1940er Jahren. In dieser tragischen Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Shoah in Europa wollte Rothko zusammen mit anderen jungen Künstlern in New York eine neue Mythologie begründen, die von der griechischen Antike inspiriert war. Auf den Bildern an der ersten Wand sind dreiteilige Statuen dargestellt, die ich als Zentauren interpretiere. Rothko wählt für sie vom Kubismus entlehnte Formen, die an Picasso erinnern, aber sie sind noch plastischer („ins Äußerste getrieben“, wie der Text vermerkt), die Figuren vibrieren von Erotik, in Ekstase. Der obere Teil wird von mehreren Menschenköpfen eingenommen, in der Mitte der Torso ist geformt wie die Basis eines skulpturalen Monuments, die Unterseite zeichnet die Beine eher organisch, verschlungen wie die Hände des Selbstporträts, mit Anspielungen an Sexualität, Sodomie (auf dem ersten Bild hat der Zentaur die Füße eines Kalbs, man sieht einen Anus und ein erigiertes Geschlecht).

In diesem Saal hängen auch Darstellungen Rothkos aus der New Yorker U-Bahn, zum Teil mit langen, sehr dünnen Gestalten, die an Giacometti erinnern, die Bilder, die aus dieser Periode gezeigt werden, variieren Formen des Kubismus und des Surrealismus. Im Hintergrund fallen schon einfarbige Flächen auf, aber die Farben sind verwaschen und in der Skala von Braun, Bordeaurot und Rosa.

Untitled 1939 ist der Titel des Bildes in deisem Saal, das mich besonders gefesselt hat. Wieder die U-Bahn, Passanten steigen die Treppe herunter, Sicht von unten, die Gruppe wird zusammengeschmolzen vom Sonnenlicht, das durch den zum Himmel offenen Eingang hereinfällt. Es sind kaum zwei oder drei Gesichter erkennbar, die Körper werden zu einer dunklen Masse, doch vom LIcht vergoldet, das die anonymen Passanten adelt. Wie das Licht hier in einer Farbfläche gesammelt wird, scheint mir auf die mythischen Werke des Künstlers vorauszuweisen.

Auch in der Galerie 3 lässt sich die Entwicklung Rothkos gut verfolgen. Er malt bereits monochrome Rechtecke auf großen Formaten, aber es lassen sich noch Gegenstände in dem dargestellten Raum unterscheiden, ein Fenster oder eine graue Oberfläche des Mobiliars, die das Licht zurückwirft.

Galerie 4, mit den Werken der 1950er Jahre, zeigt die für den Künstler typischen Bilder mit den vibrierenden Farben, sie werden noch größer, „um den Betrachter einzuhüllen“. In dem Ausschnitt eines Dokumentarfilms äußert einer der Experten, dass das große Format am stärksten das Innenleben anspreche, daher seien die Bilder Rothkos in einem kleinen Raum besonders beeindruckend – am Ende seines Lebens hat Rothko dies selbst umgesetzt, indem er eine Serie aus seinen Seagram Murals an die Tate Gallery in London gab, wo sie in einem sehr kleinen Raum ausgestellt werden sollten. Ihm ging es auch darum, dass sie in der Nähe von William Turner hängen würden, den er sehr verehrte.

Nach eigenen Aussagen war Rothko vor allem am „human drama“ interessiert, was sich mit „dem Drama des Menschlichen“ übersetzen lässt. An der griechischen Mythologie bewunderte er „eine Kunst der Intensität“ und über die Mozartschen Opern, die er beim Arbeiten hörte, sagte er, sein Wunsch sei es „die Intensität von Mozart und Matisse zu erreichen.“
Zum „human drama“ in seinen Bildern, äußerte er, wohl als Antwort auf harmlosere Interpretationen: „Ich habe in jedem Zentimeter ihrer Oberfläche die absolute Gewalt gefangen genommen.“
Offenbar nutzt er die Dialektik in dem Kontrast der Farben und zwingt sie auf einer begrenzten Fläche zusammen, dabei setzt er auch seine Technik ein, die Plastizität „ins Äußerste zu treiben“, das heißt, die Betrachterin befindet sich vor einem Gemälde mit oben einem schwarz/blauen Rechteck und einem von knalligem Weiß darunter, dieses Weiß droht überzuborden, bordet ein wenig über in das mattere Blau, welches das Gesamte umrahmt – eine Bombe, kurz vor der Explosion.

Der Mensch Mark Rothko fand ein tragisches Ende, er beging im Jahr 1970 Selbstmord. In den Texten der Ausstellung wird die Erklärung einerseits geliefert dann auch wieder negiert, dass die grauen und schwarzen Gemälde seiner letzten Zeit, nach jenen strahlenden, lebensvollen Farben davor, Ausdruck der Depression seien, unter der er litt.

Ein Werk von Rothko zu betrachten, kann eine existenzielle, ja metaphysische Erfahrung sein, ich gebe Meddeb recht, der in dessen Darstellung der Intensität des Lichts und der Sonne eine Wahrheit fand. In einem Saal von mehreren seiner Bilder umgeben zu sein, ist berauschend, und wenn eine ganze Ausstellung Rothko in mehreren Räumen zeigt, wie in der Fondation Louis Vuitton, so ist das ein überwätigendes Erlebnis.
In dieser Ausstellung der FlV, mit den Reflexionen der Texte, der Präsentation der Werke und allem, was von ihnen zusammen ausgelöst wurde, habe ich viel über die Abstraktion in der modernen Malerei gelernt.

Beate Thill

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